Landwirtschaftlicher Hauptverein für Ostfriesland e.V.

28.04.2021

Beim Artenschutz nicht mit zweierlei Maß messen

Grüne Deiche bieten vielfältigen Lebensraum – Wolf gefährdet Weidetiere

Deiche schützen nicht nur vor Sturmflut und Hochwasser, sondern leisten auch einen oft übersehenen Beitrag zur Artenvielfalt – zumindest wenn sie, wie in der Region üblich, mit Gras bewachsen und von Schafen beweidet werden. „Wir düngen ja nur wenig, und solange die Beweidung nicht zu intensiv wird, haben hier viele Gräser, Blühpflanzen und Insekten ihren Lebensraum“, sagt Deichschäferin Birgit Dreyer aus Moorhausen (Stadt Elsfleth). In dem Projekt „Biotopverbund Grasland“ hat das Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e.V. noch einen weiteren Nutzen der Deiche festgestellt: Durch die kilometerlange, nur durch Scharte unterbrochene Deichlinie können sich Arten auch über weite Strecken ausbreiten, während das anderswo durch Straßen oder Siedlungen oft schwierig ist.
Ein anderes Artenschutzprojekt gefährdet jedoch die Weidehaltung an den Deichen: die Wiederansiedelung des Wolfes. Mehrfach ist es im vergangenen Jahr zu Wolfsrissen an den Deichen in der Wesermarsch, in Friesland und in Ostfriesland gekommen. Auch in diesem Jahr hat Birgit Dreyer bereits ein gerissenes Schaf auf dem Deich in Huntebrück gefunden – wobei noch nicht belegt ist, dass es von einem Wolf angegriffen wurde.
Herdenschutz ist an den Deichen schwierig, das erkennt auch die „Richtlinie Wolf“ des Landes Niedersachsen mittlerweile an. Die Deiche dürfen z. B. zum Wasser hin nicht gezäunt werden, und Flüsse wie auch das Meer sind für den gut schwimmenden Wolf kein Hindernis. Der Einsatz eines Herdenschutzhundes würde bedeuten, dass der Deich für Ausflügler und Touristen absolut tabu wäre, denn der Hund unterscheidet nicht zwischen Mensch und Wolf. „Schon jetzt wird es schwieriger, Deichschäferinnen und -schäfer zu finden. Ein weiterer Rückgang würde die Deichpflege über die Schafe erschweren, dann müssen wir über Alternativen nachdenken. Aber wollen wir wirklich Asphaltdeiche wie in Schleswig-Holstein?“, fragt Manfred Ostendorf, Geschäftsführer des Kreislandvolkverbands Wesermarsch.
Aus Sicht der Kreislandvolkverbände Wesermarsch und Friesland sowie des Landwirtschaftlichen Hauptvereins für Ostfriesland braucht es vielmehr ein funktionierendes Management mit einer Begrenzung der Wolfspopulation. Bereits jetzt gibt es 350 Wölfe in Niedersachsen – genauso viele wie in Schweden, aber auf einem Zehntel der Fläche. „Und die Wolfspopulation befindet sich in einer Phase des exponentiellen Wachstums – alle drei Jahre verdoppelt sich ihre Zahl“, gibt Hartmut Seetzen, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Friesland, zu bedenken. „Es geht nicht um die Ausrottung des Wolfes, aber um eine definierte Obergrenze. Leider sieht das Bundesumweltministerium keine Notwendigkeit, so eine Obergrenze festzulegen.“
Die Küstenlandkreise, wo die Weidehaltung weit verbreitet ist, müssten wolfsfreie Zonen bleiben. „Für Rinderhalter ist es gerade bei unseren kleinstrukturierten Flächen einfach nicht leistbar, jede Weide wolfssicher einzuzäunen“, sagt Dr. Karsten Padeken, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Wesermarsch. „Da geht es vor allem um die Pflege der Zäune, denn das Gras darunter müsste kurzgehalten werden. Und kleinere Wildtiere wie Hasen oder Igel würden sich in den Zäunen verfangen.“ Sollten sich Wölfe dauerhaft in der Region ansiedeln, würde dies das Ende der Weidehaltung bedeuten. Viele Hobby-Schafhalter im Binnenland hätten bereits aufgegeben.
„Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Der Wolf an sich ist nicht vom Aussterben bedroht und auch in Niedersachsen keine Seltenheit mehr. Sein Schutz wird jedoch offenbar höher gewichtet als den der deichspezifischen Artenvielfalt oder vom Aussterben bedrohter Schafrassen“, fasst Maren Ziegler, Geschäftsführerin des Kreislandvolkverbands Norden-Emden, das Problem zusammen.

Schaf lugt vorsichtig über den Deich.
Manfred Ostendorf, Dr. Karsten Padeken, Maren Ziegler, Hartmut Seetzen, Birgit und Reiner Dreyer (v.l.n.r.; Fotografin: Andrea Vogt)
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